In unserem ersten Blog möchten wir einen Blick auf den Begriff Industrie 4.0 werfen und erläutern, was wir darunter eigentlich verstehen sollten. Unser Blick erfolgt insbesondere aus Sicht der zerspanenden Fertigungsindustrie. Selbstverständlich lassen sich die Ideen und Ansätze auch auf andere produzierende Branchen übertragen.
Aber schauen wir uns zunächst drei Definitionen von Industrie 4.0 an:
Wikipedia:
„Industrie 4.0 ist ein Begriff, der auf die Forschungsunion der deutschen Bundesregierung und ein gleichnamiges Projekt in der Hightech-Strategie der Bundesregierung zurückgeht, er bezeichnet ebenfalls eine Forschungsplattform. Die industrielle Produktion soll mit moderner Informations- und Kommunikationstechnik verzahnt werden. Technische Grundlage hierfür sind intelligente und digital vernetzte Systeme. Mit ihrer Hilfe soll eine weitestgehend selbstorganisierte Produktion möglich werden: Menschen, Maschinen, Anlagen, Logistik und Produkte kommunizieren und kooperieren in der Industrie 4.0 direkt miteinander. Durch die Vernetzung soll es möglich werden, nicht mehr nur einen Produktionsschritt, sondern eine ganze Wertschöpfungskette zu optimieren. Das Netz soll zudem alle Phasen des Lebenszyklus des Produktes einschließen – von der Idee eines Produkts über die Entwicklung, Fertigung, Nutzung und Wartung bis hin zum Recycling.“
Plattform Industrie 4.0:
„In der Industrie 4.0 verzahnt sich die Produktion mit modernster Informations- und Kommunikationstechnik. Treibende Kraft dieser Entwicklung ist die rasant zunehmende Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft. Sie verändert nachhaltig die Art und Weise, wie zukünftig in Deutschland produziert und gearbeitet wird: Nach Dampfmaschine, Fließband, Elektronik und IT bestimmen nun intelligente Fabriken (sogenannte „Smart Factories“) die vierte industrielle Revolution. Technische Grundlage hierfür sind intelligente, digital vernetzte Systeme, mit deren Hilfe eine weitestgehend selbstorganisierte Produktion möglich wird: Menschen, Maschinen, Anlagen, Logistik und Produkte kommunizieren und kooperieren in der Industrie 4.0 direkt miteinander. Produktions- und Logistikprozesse zwischen Unternehmen im selben Produktionsprozess werden intelligent miteinander verzahnt, um die Produktion noch effizienter und flexibler zu gestalten.“
Experton Group:
„Der Begriff Internet of Things steht synonym für eine der größten Veränderungsdynamiken unserer heutigen Zeit – die zunehmende Vernetzung und Automatisierung von Geräten, Maschinen und Produkten. Industrie 4.0 ist Teil dieser Veränderungsdynamik und beschäftigt sich im Kern mit dem Produktionsprozess in einer „Smart Factory“ durch hoch vernetzte und automatisierte Maschinen. Das Internet der Dinge fokussiert sich dagegen nicht alleine auf die Produktion, sondern auf die Nutzung von digitalisierten und vernetzten Geräten und Produkten entlang der gesamten Wertschöpfungskette eines Unternehmens. Beide Themen beschäftigen sich somit mit den Möglichkeiten der zunehmenden Vernetzung auf unterschiedlichen Ebenen – von der Geräte- und Maschinen-Ebene, über die Ebene von Maschinenparks sowie Produkt- und Gerätegruppen bis hin zu den vertikalen und horizontalen Geschäftsprozessen.“
Schwerunkt aller drei Definitionen ist die Vernetzung von Maschinen mit dem Ziel einer „Smart Factory“. Doch auf den konkreten Nutzen für Unternehme gehen die Definitionen nicht oder wenig detailliert ein.
Häufig wird davon gesprochen, dass durch Industrie 4.0 die Produktivität, zum Beispiel durch Reduzierung von Ausfallzeiten, erhöht werden kann. Einige Studien und Anbieter von Industrie 4.0 Lösungen sprechen sogar von Steigerungen um bis zu 30%.
Diese Definition und Betrachtung von Industrie 4.0, ist zutreffend geht aber wesentlich weiter. Man muss berücksichtigen, dass die 4. Industrielle Revolution in einem disruptiven Umfeld stattfindet, das heißt dass sich ganze Branchen von Grund auf wandeln. Beispiele hierfür sind unter anderem die Finanzindustrie, die durch Fintechs auf den Kopf gestellt wird oder die Automobilindustrie die sich durch autonom fahrende Autos grundlegend ändern wird. Was für einen nutzen kann man aus einer Produktivitätssteigerung ziehen, wenn der Bedarf an herkömmlichen Automobilen durch die autonom fahrenden Fahrzeuge um 70% reduziert wird?
Wenn die eigene Branche auf den Kopf gestellt wird, reicht es nicht aus, mit Produktivitätssteigerungen zu reagieren. Durch disruptive Entwicklungen in der eigenen Branche ändert sich das eigene Geschäftsmodell grundlegend. Selbstverständlich passiert dieser Wandel je nach Branche langsamer oder schneller. Aber der Wandel wird stattfinden und er wird im Vergleich zu heute deutlich schneller stattfinden. In einem solchen Umfeld reicht es nicht aus, einfach nur besser und schneller das „Alte“ zu produzieren, sondern man muss sich auf eine grundlegende Änderung des eigenen Geschäftsmodells einstellen. Prof. Syska von der Hochschule Niederrhein hat in diversen Artikeln früh darauf hingewiesen, dass in den Diskussionen zu Industrie 4.0 die möglichen neuen Geschäftsmodelle nicht oder nicht ausreichend diskutiert werden. Weiter kritisiert Prof. Syska, dass die Diskussion über Industrie 4.0 sich auf die Produktion innerhalb einer Fabrik beschränkt und so Potentiale außerhalb der „Fabriktore“ nicht erkannt werden.
„Der eigentliche Sinn der webbasierten Vernetzung besteht aber in datenbasierten Geschäftsmodellen, ihre Potenziale liegen außerhalb der Fabriken. Diese Potenziale findet man aber nicht, wenn der Denkhorizont nur bis ans eigene Werkstor reicht. Industrie 4.0 zielt hierzulande einseitig auf Performance der Produktion und kommt gedanklich nicht aus dem kleinen Karo der Fabrik hinaus.“ Prof. Syska – Deutschlands naiver Traum von der smarten Fabrik
Der zentrale Punkt aus allen Definition von Industrie 4.0 – die Vernetzung – kann also nur die Grundlage für neue Geschäftsmodelle im produzierenden Gewerbe sein. Wie ein solches Geschäftsmodell für die Fertigungsindustrie aussehen kann möchten wir hier darstellen. Wir beschränken uns hierbei auf die zerspanende Fertigungsindustrie. Wobei die beschriebenen Ideen sich auch auf andere Fertigungsbranchen anwenden lassen.
Bevor wir uns das oben genannte Geschäftsmodell zuwenden, wollen wir uns zunächst aber Einen der Big 5 anschauen. Als die Big 5 werden Apple, Facebook, Alphabet (Google), Amazon und Microsoft bezeichnet. Die Bezeichnung kommt daher, dass diese fünf Unternehmen die fünf wertvollsten, bezogen auf den Aktienwert, Firmen der Welt sind.
Schauen wir uns das Unternehmen Amazon etwas genauer an. Amazon, dass 1995 an den Markt gegangen ist, hat zunächst einen Onlineshop für Bücher entwickelt. Das Ziel von Amazon war es aber nicht langfristig Bücher über das Internet zu verkaufen, sondern eine B2C-Plattform zu entwickeln, um Verkäufer und Käufer für jegliche Art von Produkt zusammenzubringen. Amazon fungiert dabei nur als Mittler und stellt dabei Dienste zu Verfügung die aufgrund von Konsolidierungseffekten deutlich günstiger durch Amazon selbst angeboten werden können.
Was ist also notwendig für eine solche Plattform? – IT-Infrastruktur und Logistik. Beides betreibt Amazon selbst und bietet Dienstleistungen aus diesen Bereichen für seine Kunden an. Als Beispiel können Sie als Onlineshop Ihre gesamte Logistik von Amazon betreiben lassen. Amazon kann dies deutlich günstiger und effizienter durchführen, da Schwankungen innerhalb einzelner Bereiche durch die Konsolidierung mit anderen Kunden ausgeglichen werden können. Dies gilt im gleichen Maße für die IT-Infrastruktur.
Amazon bietet seit 2006 unter dem Namen Amazon Web Service (AWS) eigene Clouddienste an. Wie zu sehen ist, ist der Umsatz seit der Einführung von AWS deutlich angestiegen. Amazon hat also auf Basis des Kerngeschäftes (Onlineshop für Bücher) durch Weiterentwicklung des Geschäftsmodells eine Plattform geschaffen, auf der Kunde und Verkäufer zusammengebracht werden können. Da IT-Infrastruktur ein zentraler Bestandteil dieser Plattform ist, hat Amazon auf Basis dieser Infrastruktur weitere Dienstleistungen geschaffen und neue Geschäftsmodelle entwickelt.
Amazon geht sogar einen Schritt weiter und entwickelt Technologien und Geschäftsmodelle die einen Teil des ursprünglichen Geschäftsmodells verdrängen. Amazon investiert gerade sehr viel Geld in sein Kindle Fire. Das Kindle Fire wird quasi für die Herstellkosten verkauft. Durch das Kindle Fire wird aber das ursprüngliche Geschäft, der Verkauf von gedruckten Büchern über das Internet, verdrängt. Aber es gilt frei nach Steve Jobs: „Wenn wir uns nicht kanibalisieren, kanibalisiert uns jemand anders.“ Dies hat Amazon erkannt und investiert konsequent in Zukunftstechnologien auch wenn dadurch eigene Geschäftsbereiche leiden können.
Was bedeutet dies alles nun für die Fertigungsindustrie in Deutschland?
Auch die Fertigungsindustrie steht vor großen Veränderungen. Durch die Vernetzung von Maschinen ist es möglich, ein Amazon der Fertigungsindustrie zu schaffen. Eine Plattform auf dem Verkäufer (z.B. Lohnfertiger und Kunden (z.B. Automobilindustrie) zusammengebracht werden können. Sicherlich ist diese Branche anders organisiert. Kunden haben Ihre zertifizierten Lieferanten mit unter Umständen langfristigen Verträgen. Eine solche B2B Plattform kann aber deutliche Vorteile gegenüber heutigen Geschäftsbeziehungen bringen. Vorteile sind zum Beispiel, dass der Käufer zu seinen Lieferanten nur noch eine Schnittstelle in einer IT-Infrastruktur benötigt. Durch einen schnelleren und flexibleren Wechsel von Anbietern, können günstigere Einkaufpreis erzielt und rascher auf Schwankungen reagiert werden. Natürlich benötigt es Zeit, traditionelle Geschäftsbeziehungen zu ändern, aber in einigen Branchen gibt es solche Plattformen bereits.
Ein Beispiel ist die noch junge Fertigungsbranche des 3D Drucks. Für Produkte die mit einem 3D Drucker hergestellt werden können, gibt es zum Beispiel das Portal 3Dhubs.com. Dort können Kunden digitale Abbilder Ihrer Produkte hochladen und auf einem passenden Drucker in Ihrer Nähe drucken lassen. Das Portal erzeugt aus den 3D Daten vollautomatisch die entsprechenden Programme für den ausgewählten 3D Drucker. Die gedruckten Produkte können anschließend beim Anbieter abgeholt werden oder gegen einen kleinen Aufpreis zugeschickt werden.
Eine Plattform für die zerspanende Fertigungsindustrie könnte ähnlich aufgebaut sein. Über eine Vernetzung sind die Maschinen eines Anbieters (z.B. Lohnfertiger) an die Plattform angebunden. Kunden können digitale Abbilder Ihrer Produkte hochladen und das Portal setzt diese Daten in CNC Daten für die entsprechende Maschinensteuerung um. Weiter könnte der Plattformanbieter für den Verkäufer Technologiedaten anbieten und diese ebenfalls verkaufen. Der Plattformbetreiber könnte ebenfalls Verbrauchsmaterial (z.B. Werkzeuge, Betriebsstoffe, Rohlinge) konsolidiert beschaffen, um so günstigere Preise für die angeschlossenen Verkäufer zu erzielen. Anbieter hätten ebenfalls die Möglichkeit Ihren Maschinenpark besser auszulasten. Durch die Vernetzung kann die aktuelle Auslastung in Echtzeit dargestellt werden. In Abhängigkeit der Auslastung kann der Anbieter Preise und Lieferzeit auf der Plattform automatisch anpassen um so schnell neue Aufträge zu akquirieren bzw. die Lieferzeit anzupassen.
Weiter können die Daten, die durch die Vernetzung gewonnen werden, von Maschinenherstellern ausgewertet werden, um detaillierte Informationen über die Maschinen im Feld zu erhalten. Mit Hilfe dieser Daten können die Maschinenhersteller Kenntnisse über den genauen Einsatz der Maschinen bei Ihren Kunden gewinnen. Dadurch können Wartungs-/Serviceeinsätze optimiert werden und der Absatz von After-Sales Produkten verbessert werden. Diese Daten bieten also das Potential für komplett neue Geschäftsmodelle für die Maschinenhersteller. Man könnte sogar so weit gehen, dass die Maschinen nicht mehr gekauft oder geleased werden, sondern nur noch Produktionsstunden abgerechnet werden.
Wir sind davon überzeugt, dass sich die Fertigungslandschaft mit den neuen Technologien, die im Rahmen der Digitalisierung und Industrie 4.0 entstehen, die Art und Weise wie heute in der Branche gearbeitet wird verändern wird. Erste Anwendungen gibt es schon heute und die Innovationsgeschwindigkeit wird weiter zunehmen.
Natürlich skizzieren die hier beschriebenen Ideen nur erste Schritte von möglichen Veränderungen in der Fertigungsindustrie. Wir möchten aber an dieser Stelle dafür plädieren, keine Denkverbote auszusprechen bzw. heute vielleicht revolutionär erscheinende Ideen als unmöglich abzutun. Wichtig ist, dass wir mehr denn je und ständig unser Geschäftsmodell hinterfragen. Wir müssen weiter darüber nachdenken, wie neue Geschäftsmodelle im Rahmen neuer Entwicklungen entstehen können. Und dabei dürfen keine Ideen und Modelle ausgelassen werden, die vielleicht das Bestehende überflüssig machen können.
“Ich glaube, wenn du etwas machst und es läuft gut, dann solltest du etwas anderes Wunderbares machen, bleib nicht zu lange bei einem. Denk daran, was als nächstes dran ist.” – Steve Jobs